Der Schauspieler Uldis Pūcītis ist eine legendäre Persönlichkeit der lettischen Schauspielszene. Er hatte von Natur aus ein herrliches Angesicht und eine männliche Statur, den Charme eines Rebellen und ein großes Talent, das sowohl im psychologischen als auch dramatischen Theater zum Ausdruck kam. Uldis Pūcītis hatte ein feuriges Temperament, Emotionalität und einen analytischen Verstand – alle Eigenschaften, die in seinem Beruf sehr wichtig sind, jedoch selten gleichzeitig vorkommen. So konnte er eine Rolle nicht nur emotional, sondern auch rational interpretieren. Die Fähigkeit von Pūcītis zur schnellen Wahrnehmung der Tendenzen im Leben und in der Kunst machte ihn zum perfekten Schauspieler in den Augen sogar mehrerer in den Kulturkanon aufgenommener Regisseure, darunter Pēteris Pētersons, Ādolfs Šapiro und Oļģerts Kroders. ZuschauerInnen konnten sich leicht mit den von Pūcītis dargestellten Figuren identifizieren.
Uldis Pūcītis wurde am 15. April 1937 im nordöstlichen lettischen Städtchen Ranka geboren. Vor seiner Schauspielkarriere besuchte er die Pädagogische Hochschule in Riga und war ein Jahr als Grundschullehrer tätig. 1960 schloss er seine Ausbildung an der Fakultät für Theaterausbildung des Lettischen Konservatoriums ab. Seine Karriere begann im Liepāja-Theater, wo er auch in Aufführungen des in den Kulturkanon aufgenommenen Regisseurs Oļģerts Kroders spielte. Trotz der kurzen Zusammenarbeit nannte ihn der Regisseur, der zu den SchauspielerInnen gleichberechtigte Beziehungen pflegen wollte, den „perfekten Schauspieler“: „(..) Er war in seinem Denken sehr selbständig und man konnte sich mit ihm auch über das Schauspiel gut austauschen. Ich sage was, er antwortet, und daraus ergibt sich der perfekte Stil der Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und dem Schauspieler.“ Für Kroders war Konkretisierung eine der wesentlichsten persönlichen und beruflichen Eigenschaften von Pūcītis. Der Schauspieler wollte keine abstrakten, bedeutungslosen Emotionen verkörpern, sondern zielte darauf, einen konkreten Grund für jede Handlung seiner Rollen zu finden.
Pūcītis verbrachte nur ein paar Jahre im Liepāja-Theater, konnte aber u. a. Matti von Bertolt Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ darstellen (Aufführung von Nikolajs Mūrnieks, 1962). Dabei hat er als einer der ersten SchauspielerInnen der lettischen Theaterszene das distanzierte Spiel von Brecht ins Leben gerufen, d. h. er verkörperte gleichzeitig seine Rolle und gleichzeitig den von außen betrachtenden Zuschauer.
Von 1966 bis 1990 spielte Pūcītis sowohl im Daile-Theater als auch im Jugendtheater. Er spielte die Hauptrolle in zwei poetischen Aufführungen von Pēteris Pētersons, die auch ein Teil des Kulturkanons sind, und zwar im „Motorrad“ von Imants Ziedonis (Daile-Theater, 1967) und „Menschliche Mysterie“ nach den Werken Wladimir Majakowskis (Jugendtheater, 1974). So erwies sich Pūcītis als ein moderner und begabter Interpret von Poesie sowie als eine Art Zeitgeist. In diesen Aufführungen schliff er seine Fähigkeit, gleichzeitig eine ironische Distanz und eine poetische Emotionalität zu schaffen.
Im Goldenen Buch der lettischen Theatergeschichte, in dem das Beste des lettischen Theaters gesammelt wird, findet man die von Uldis Pūcītis gespielten Hauptrollen in Aufführungen des Jugendtheaters von dem in den Kulturkanon aufgenommenem Regisseur Ādolfs Šapiro – „Iwanow“ von Anton Tschechow (Aufführung von 1975) und „Peer Gynt“ von Henrik Ibsen (Aufführung von 1979). Sowohl den abenteuerlustigen Peer Gynt als auch den von inneren Konflikten geplagten Iwanow, der Selbstmord begeht, stellte Pūcītis als vielschichtige, unharmonische Figuren des 20. Jahrhunderts dar. Šapiro selbst betonte die absolute Ehrlichkeit des Schauspielers und nannte ihn einen der hervorragendsten SchauspielerInnen, die Šapiro in seiner künstlerischen Tätigkeit kannte.
Er wurde sein ganzes Leben lang von den ZuschauerInnen geschätzt und wurde besonders dank seiner Filmrollen mehr bekannt. Seine wichtigsten Filmrollen sind der Stallknecht Edgars in der Verfilmung von 1966 nach der Novelle von Rūdolfs Blaumanis‚ „Durch den Sumpf“ (Purva bridējs, Regisseur Leonīds Leimanis) und der rebellische Musiker Cēzars Kalniņš im Film von 1967 „Atmen Sie tief“ (Elpojiet dziļi, Regisseur Rolands Kalniņš; der Film ist inzwischen auch unter der ursprünglichen Titel „Vier weiße Hemde“ (Četri balti krekli) bekannt).
Leider unterdrückte die Alkoholsucht des Schauspielers sein Talent, und am Ende des Lebens konnte er gar nicht mehr im Theater arbeiten. Er war aber auch in Bezug auf diesen persönlichen Nachteil sehr ehrlich. 1987 war er eine der Stimmen der Vorlesung von Hans Falladas „Der Trinker“ im Radiotheater (Regisseurin Antonija Apele).
Eine der letzten bedeutenden Theaterrollen von Uldis Pūcītis war der Dichter in der Aufführung des Daile-Theaters von Aleksandrs Čaks' Poesiewerk „Betroffen von Ewigkeit“ (Mūžības skartie, 1987, Regie von Kārlis Auškāps). Das Werk selbst ist Teil des Kulturkanons. In den letzten Lebensjahren konnte Uldis Pūcītis auch seinen Traum von der Tätigkeit als Regisseur erfüllen. 1997 leitete er die Buchverfilmung des Romans „Das zerstörte Nest“ (Izpostītā ligzda) von Raimonds Trasuns (1935–1996), die von Kritikern gelobt wurde.
Es sind zwar hauptsächlich Leute der älteren und mittleren Generation, die sich an Uldis Pūcītis als Theaterschauspieler erinnern, aber dank seiner Rollen in noch heute beliebten Filmen kennen ihn auch jüngere Leute. Er gilt als der Höhepunkt der Männlichkeit, den noch kein Schauspieler der jüngeren Zeit erreicht hat.
Maija Treile, übersetzt von Ženija Minka