Die klassische Periode des lettischen Films – die 50er-60er Jahre des 20. Jh. – ist nicht vorstellbar ohne die Filme des Regisseurs Leonīds Leimanis, die durch die gleichen Merkmale charakterisiert werden wie die Hollywood Filme der klassischen Periode (1930–1950): romantischer Pathos, klassische Dramaturgie, von seinen schiksalhaften Passionen geleitete Figuren. „The Swamp Wader“ („Purva bridējs“) ist der Glanzpunkt dieser Stilistik und der populärste Film von Leonīds Leimanis, den in Lettland mehrere hundert Tausend und in der ganzen Sowjetunion mehr als 26 Millionen Zuschauer gesehen haben.
Eines der wichtigsten Hauptbezugspunkte in Augen der Zuschauer war die leidenschaftliche und ein wenig sündhafte Liebe der beiden Haupthelden Edgars und Kristīne. Mit diesem Film haben nicht nur der Regisseur Leonīds Leimanis, der Kamermanann des Films Mārtiņš Kleins (1938–2014) und die anderen Mitarbeiter, sondern das ganze Filmproduktionssystem Lettlands bewiesen, dass die Übergangsperiode, die nach dem Zweiten Weltkrieg angefangen hatte, nun zu Ende ist. Denn der Krieg hat die Spielfilmproduktion in Lettland für mehrere Jahrzehnte fest gestoppt: während der deutschen Okkupation war diese erschwert, die sowjetische Besatzungsmacht nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat zuerst nicht mal geglaubt, dass jemand in Lettland fähig wäre Filme zu drehen und hat deshalb nach Lettland Regisseure und Drehbuchautoren aus anderen sowjetischen Republiken geschickt. In den 50er Jahren wiederum wird die Spielfilmproduktion in der Sowjetunion nach einem Dekret von Stalin radikal eingeschränkt und erst Anfang der 60er Jahre wieder erneuert. „The Swamp Wader“ ist eines der ersten hochwertigen Belege, dass diese wirren Zeiten vorbei waren und die Filmfachleute Lettlands auch ohne Hilfe aus der restlichen Sowjetunion selbstständig hervorragende Filme drehen können.
Eines der Grundsteine für den Erfolg von „The Swamp Wader“ ist die Tatsache, dass diese eine Verfilmung von zwei Werken von Rūdolfs Blaumanis ist, der auch im Kulturkanon zu finden ist. Im Zentrum der Handlung steht die Liebe zwischen dem Kutscher Edgars und der Tochter der Wäscherin Kristīne. Edgars hat einen temperamentvollen Charakter und einen turbulenten Lebensstil. Deshalb lehnt die Mutter von Kristīne die Beziehung der beiden ab. Der Stallbursche Sutkas und der Lakei Vīskrelis verleiten Edgars zu Trinkgelagen, er fängt eine Beziehung mit der Wirtstochter Matilde an. Die verletzte Kristīne stimmt darauf der Heirat mit dem reichen Großgrundbesitzer Akmentiņš zu, vor dem Kirchenaltar aber, als sie ihren geliebten Edgars wieder erblickt, sagt sie die Hochzeit ab.
Das Interesse für den Film basierte auf der feinen Handlungsdramaturgie, die schon den Arbeiten von Blaumanis eigen sind; die Popularität des verfilmten Stoffes sicherte es schon im voraus, dass der Film zu einem Publikumsmagneten wurde. Der allerwichtigste Haken, um das Interesse der Zuschauer zu wecken, war aber die Tatsache, dass Leonīds Leimanis mit seinem Temperament und mit seiner Tendenz zu schicksalshaften Passionen die Beziehung von Edgars und Kristīne schon bis zur offensichtlich erotischen Spannung aufgeladen hatte und damit die Verehrer von Blaumanis schockiert hatte. Mit zeitlicher Distanz lässt es sich sagen, dass Leonīds Leimanis, als er das Wagnis einging, sich nicht der literarischen Vorlage wortwörtlich zu versklaven, sondern die Verfilmung nach dem Sinn des literarischen Werkes zu richten, eine wichtige Dienstleistung für nachfolgende Generationen der lettischen Filmemacher machte.
Der Film „The Swamp Wader“ spielte eine sehr wichtige Rolle für die Karriereentwicklung der beiden Hauptdarsteller. So für Uldis Pūcītis (1937–2000), der auch im Theaterabteil des Kulturkanons zu finden ist, war diese seine dritte Kinorolle, aber erste, die so maßgebend war, dass sie für eine lange Zeit sein Rollenfach bestimmt hat. Für Vija Artmane (1929–2008) wiederum, die zu dem Zeitpunkt schon eine in der ganzen UdSSR berühmte Schauspielerin mit 12 Kinorollen war, hat die Rolle von Kristīne ihren Ruhm zementiert. Ihre Zeitgenossen waren zwar besorgt, weil Artmane acht Jahre älter war als Pūcītis, auf der Leinwand ist dieser Altersunterschied aber nicht zu spüren. Beide haben sogar Festivalpreise als das beste Schauspielerpaar bekommen.
Die Zeitgenossen des Films wären bestimmt sehr überrascht gewesen, dass „The Swamp Wader“ 40 Jahre später in den Filmkanon aufgenommen wird. Aber es gibt viele hervorragende Kunstwerke, die dieses Schicksal teilen, dass sie zu der Zeit ihrer Entstehung nicht verstanden wurden und erst nach Jahrzehnten ihre künstlerischen Leistungen anerkannt und sie zum wertvollsten Teil der Kulturgeschichte erklärt werden.
Von Elīna Reitere adaptierte deutsche Fassung nach einem Text von Kristīne Matīsa
Der Film kann HIER gesichtet werden (mit englischen Untertiteln).