„Rigaer Pantomime“ war ein Theaterensemble von Amateuren und galt niemals als eine professionelle Truppe, aber in den goldenen Jahren (Ende der 1960er bis 1970er Jahre) hatte sie einen enormen Einfluss auf das lettische kulturelle Leben im Allgemeinen. Zahlreiche bedeutende lettische Kulturpersönlichkeiten haben an der Inszenierung von Aufführungen der Truppe teilgenommen. Ihre künstlerischen Ambitionen wurden dank Gastspiele im Westen unter internationalen Fachleuten bekannt. Während der sowjetischen Besatzungszeit, in der über viele Themen nicht gesprochen wurde, konnte die Pantomime ihre ZuschauerInnen durch die Körpersprache, die Musik, das Licht und die Symbole ansprechen.
Die Pantomime ist eine Art der Schauspielkunst – Darstellung von Handlungen durch Gesten und Mienenspiel. Genauso wird eine Aufführung genannt, in der diese Darstellungsweise vorkommt. Die Gründung der „Rigaer Pantomime“ stellte die Weichen für Pantomime in Lettland.
Roberts Ligers (1931–2013), Gründer und langjähriger Leiter des Ensembles, Schauspieler und Regisseur, besuchte eine Schule in der lettischen Stadt Gulbene, und zwar gleichzeitig mit der Schauspielerin Antra Liedskalniņa (1930–2000), die auch in den Kulturkanon aufgenommen wurde. Beide nahmen an der schulischen Theatertruppe teil und wurden 1951 in die Fakultät für Theaterausbildung des Lettischen Konservatoriums aufgenommen. 1955 wurde Ligers Schauspieler des in den Kulturkanon aufgenommenen Daile-Theaters von Eduards Smiļģis. Im nächsten Jahr übernahm er auch die Leitung der Amateurtruppe vom Kulturhaus der Bauwerker „Oktober“. Das Ensemble bestand aus Jugendlichen, die die Zulassungsprüfung nicht bestanden hatten. Sie wurden nach den Standards des Studienprogramms ausgebildet. Im Laufe der Zeit wechselte die Truppe von Drama zur Pantomime. 1967 wurde sie „Rigaer Pantomime“ genannt und war seit 1973 in der Kultureinrichtung VEF-Kulturpalast untergebracht.
Das künstlerische Credo der „Rigaer Pantomime“ basiert auf den Grundwerten des Theaters, wie sie von Eduards Smiļģis, dem Regisseur und Gründer des Daile-Theaters definiert wurden – Klarheit, Leidenschaftlichkeit, Einfachheit. Roberts Ligers behauptete: „Mein Vorbild der Schauspielkunst war das Daile-Theater wegen der ungewöhnlichen Beleuchtung, der Romantik, den aussagekräftigen Bewegungen, des Tanzes, des Orchesters und der besonderen gehobenen Atmosphäre, nach den Worten von Smiļģis: des „Volumens““.
Die erste pantomimische Aufführung des Ensembles war „Die Idee“ (1961) nach Grafiken des belgischen Künstlers Frans Masereel (1889–1972) mit Musik von Imants Kalniņš. Seitdem führte Roberts Ligers sowohl pantomimische Miniaturen als auch Stücke mit komplizierten Heldenhierarchien und philosophischer oder satirischer Handlung auf. Die erste abendfüllende pantomimische Aufführung in der damaligen UdSSR war das poetische Stück „Der Weg“ (1969), das sich auf die Poesie von Imants Ziedonis stützte. Im Mittelpunkt stand der von Staņislavs Maļinovskis dargestellte Mensch, die anderen SchauspielerInnen verkörperten die Strömungen und Konflikte seiner inneren Welt.
Das analytisch-philosophische Stück „Das Geheimnis der Histrionen“ wurde auf der Bühne des Lettischen Nationalen Opern- und Balletthauses (damals Staatliches Opern- und Balletttheater der Lettischen SSR) 1971 uraufgeführt. Da wurde zum ersten Mal die Flagge der „Rigaer Pantomime“ mit der Abbildung eines Mimen zur Schau getragen. Im Laufe der Jahre wurden der Flagge Erinnerungsstücke von allen Uraufführungen der Truppe und anderen wichtigen Ereignissen hinzugefügt.
Als Basis zur Aufführung „Symphonie“ (1975) diente die in den Kulturkanon aufgenommene „Vierte Symphonie“ von Imants Kalniņš. Der Kostüm- und Bühnenbildner Ilmārs Blumbergs benutzte blaue Farbtöne, weshalb die Aufführung auch als „Blaue Symphonie“ bekannt wurde.
1975 hatte die „Rigaer Pantomime“ ihre erste Aufführung im Westen und sie gewann sogar in Halle (Saale) den höchsten Preis des Festivals der Freundschaft zwischen der Jugend der UdSSR und der DDR. In späteren Jahren reiste die Truppe u. a. nach Finnland, Frankreich, Österreich, in die Tschechische Republik und die USA.
Die Pantomime ist mit einzelnen Ausnahmen „jugendliche“ Kunst. Der Durchschnittsalter der Truppe von „Rigaer Pantomime“ lag bei 20 Jahren. Die Truppe unterlag im Laufe der Jahre ständigem Wechsel. Die Mitglieder wurden später Teil eines dramatischen Theaters, gründeten ihre eigenen Truppen, wurden zum Armeedienst einberufen oder widmeten sich einer ganz anderen beruflichen Tätigkeit. Roberts Ligers lehrte u. a. den Regisseur Alvis Hermanis, der das in den Kulturkanon aufgenommene Neue Theater Riga leitet, den Künstler Ilmārs Blumbergs, der der lettischen Plakatszene gehört, die Schauspielerin Raimonda Vazdika, den Fotografen Valts Kleins und den Künstler Jānis Anmanis.
Ansis Rūtentāls (1949–2000), der als bedeutendster lettischer Mime gilt, gründete nach erfolgreicher Karriere bei der „Rigaer Pantomime“ ein Bewegungstheater (1978), das bis heute tätig ist. Der Künstler und Bewegungsregisseur Modris Tenisons gründete im Staatlichen Dramatischen Theater Kaunas in Litauen ein professionelles pantomimisches Theater (1966–1972). Nach seiner Rückkehr wurde Tenisons Bühnenbildner und Bewegungsregisseur bei zahlreichen bedeutenden Aufführungen der lettischen Theaterszene, u. a. auch bei der legendären, in den Kulturkanon aufgenommenen Aufführung des Daile-Theaters von Henrik Ibsens Stück „Brand“ (1975, Regisseur Arnolds Liniņš).
Seit 1961 haben die Mitglieder der „Rigaer Pantomime“ Tagebücher, s. g. „Seelenbücher“, geschrieben und damit einzigartige Quellen zur Geschichte der Truppe geschaffen. Die „Rigaer Pantomime“ ist immer noch im VEF-Kulturpalast zu finden, aber sie hat die künstlerische Fähigkeit und den kulturellen Einfluss der einstigen Truppe verloren.
Maija Treile, übersetzt von Ženija Minka