Die Landschaft der Ebene von Zemgale ist flach, der Fluss Lielupe durchströmt mit vielen Nebenflüssen die ganze Tiefebene. Die Flussbetten dieser Flüsse bildeten sich beim Schmelzen der Eisschichten der letzten Eiszeit. Der Boden ist fruchtbar, es gibt weite Felder und Täler, Obstgärten, Einzelgehöfte, Dörfer und Landgüter, Burgruinen und Schlösser, Laub- und Mischwälder. Weiter südlich erhöht sich die Tiefebene und wird an der litauischen Grenze bei Tērvete, Eleja und Bauska zu einer höheren Ebene.
Zemgale (Semgallen) ist wegen der fruchtbaren Böden traditionell immer ein Ort der Landwirtschaft und eine wohlhabende Region gewesen. Zemgale war Teil des Herzogtums Kurland und Semgallen (1561–1795). Aus Zemgale kamen alle vier Präsidenten der ersten unabhängigen Republik Lettland zwischen den beiden Weltkriegen: Jānis Čakste, Gustavs Zemgals, Alberts Kviesis und Kārlis Ulmanis.
Die Einzigartigkeit der Landschaft in Zemgale wird in den Werken von Anna Brigadere (1861–1933), Vilis Plūdons (1874–1940) und Edvarts Virza (1883–1940) dargestellt, die ebenfalls aus Zemgale stammen.
Edvarts Virza schuf mit dem Prosapoem „Straumēni“ (1933), von Berthold Forssmann 2020 meisterhaft ins Deutsche übersetzt, eine Hymne auf das bäuerliche lettische Leben. Er beschreibt ein Jahr auf dem semgallischen Gehöft Straumēni Mitte des 19. Jahrhunderts, verknüpft Kindheitserinnerungen mit den Erzählungen seiner Eltern und Großeltern und folgt dem Takt der Natur. In diesem harmonischen Jahr mit der bäuerlichen Arbeit und schönen Festen wie Mittsommer, Erntedank oder Weihnachten ist jedoch eine Trauernote enthalten, da dieses Ideal unwiederbringlich verloren ist. Ein einsamer Wanderer nähert sich in der Mittagszeit dem Gehöft:
„Aber Straumēni kann man jetzt auch erkennen, ohne danach zu fragen. Eine hohe, verzweigte Eiche bewacht dieses Haus wie ein grüner Erzengel, und um sie herum drängen sich Ahorn- und Lindenbäume. Birken in einer langen Reihe wärmen dort in der Sonne ihre schlanken Gipfel, und ihre Stämme blenden Sie mit ihrem gleißenden Weiß. Von Ferne sind all diese Bäume nicht einzeln zu erkennen, sondern fließen zu rundlichen Gruppen zusammen und verhüllen die Gebäude, und nur die mit Kalk beworfenen Wände der Korndarre schimmern durch sie hindurch. Um diese Stunde sind Sie der einzige Wanderer auf dem grünen Feldweg. Seine tiefen Rillen sind mit weißem Klee zugewachsen, und er ist so schmal, dass sich über ihn hinweg die Ähren zweier Roggenfelder ineinanderschlingen. Aber vor gar nicht langer Zeit ist hier jemand gewesen, denn das Kleefeld ist frisch gemäht. In seinem dichten Grün liegt eine Sense, und ihr Blatt ist noch ganz feucht, und es kleben Halme und Blütenblätter daran. Sie sind jetzt schon ganz nah bei dem Haus, aber niemand bemerkt Ihr Kommen. Um die Mittagszeit haben sich hier alle zu einem Schlummer begeben, und selbst der Hopfen, der sich um den Gartenzaun windet, scheint eingeschlafen zu sein. Sie schieben ihn beiseite, und da öffnet sich vor Ihnen ein Garten und der dahinterliegende Hof. Die Apfelbäume sind groß und alt, und hoch oben haben sich ihre Zweige ineinandergeschlungen. Unter ihnen wächst hohes und saftiges Gras…“
(E. Virza „Straumēni“, 2020, S.10,11)
Diese schöne, idyllische Welt der Gehöfte ist im 20. Jahrhundert zum Großteil der intensiven Landwirtschaft zum Opfer gefallen. Heute wird in Zemgale versucht, die traditionelle Landschaft wieder zu beleben, indem man die ökologische Landwirtschaft und die Biodiversität dieser einzigartigen Gegend fördert.
Neben den Bauernhöfen gibt es in Zemgale auch Burgruinen aus den Zeiten des Deutschen Ordens und wunderschöne Schlösser.
Im westlichen Zemgale, in Bauska, nicht weit vom Zusammenfluss von Mūsa und Mēmele, befindet sich die Burgruine des Deutschen Ordens aus dem Jahr 1447. Die im Nordischen Krieg zerstörte Burg wurde1973 teilweise wieder aufgebaut. Von den Aussichtsplattformen bietet sich ein schöner Anblick über die Flusslandschaft.
Nördlich von Bauska liegt das Schloss Mežotne, das von einem der besterhaltenen Landschaftsparks Lettlands umgeben ist. Dieser wird durch einen Bach in zwei Teile getrennt: den waldähnlichen Winterpark und den lichteren Sommerpark. Von einigen Stellen aus bieten sich schöne Ausblicke auf das Flusstal der Lielupe.
Rundāle ist das bedeutendste barocke Architekturdenkmal Lettlands. Von 1735 bis 1737 dauerten die Bauarbeiten unter der Leitung von Francesco Rastrelli. Das Schloss mit seinen 138 prachtvollen Räumen und fast 7000 Quadratmetern hat die russische Zarin Anna Ivanovna ihrem Günstling, dem Herzog von Kurland Johann von Biron geschenkt. Das Schloss ist von einem Park umgeben, der den formalen Gärten des französischen Absolutismus nachempfunden ist und der an seinen Rändern in einen Wald übergeht. Jedes Jahr im Sommer findet im Schloss ein Festival der barocken Musik statt.
Der vielleicht schönste Themenpark Lettlands befindet sich in Tērvete. Auf dem weitläufigen Waldgelände finden sich Figuren aus dem bekannten Märchen „Sprīdītis“ von Anna Brigadere, die selbst aus Tērvete stammt. Der kleine Junge Sprīdītis will nicht mehr bei seiner bösen Stiefmutter bleiben und zieht in die große, weite Welt, um sein Glück zu suchen. Er besiegt einen Riesen und erlebt weitere Abenteuer. Als er eine Burg von der Macht des Teufels rettet, wird ihm vom König die Hand seiner Tochter versprochen. Sprīdītis arbeitet für den König, wird von ihm betrogen und kehrt mit Hilfe eines Zauberrings in seine Heimat zurück. Denn er hat verstanden, dass man nur zu Hause glücklich werden kann. Figuren aus diesem und anderen Märchen der Schriftstellerin bevölkern den Märchenwald. Der Park wird vom kleinen Fluss Tērvete durchzogen, über den schön gestaltete Brücken führen. Es gibt bis zu 30 Meter hohe, 300 Jahre alte Bäume, ein Dendrarium mit exotischem Gehölz, einen Turm zur Vogelbeobachtung und eine ornithologische Forschungsstation. Neben dem Märchenwald liegt ein Zwergenwald mit hölzernen Zwergen überall.
Tērvete war zu Beginn des 13. Jahrhunderts die Hauptstadt des semgallischen Königreichs. Die Burg Tērvete wurde vom deutschen Orden 1272 erobert, jedoch hat sich der Semgallenkönig Namejs nie fremden Mächten unterworfen. Die Burg wurde 1279 zurückerobert. 1701 wurde sie von Schweden zerstört.
In Auce befindet sich ein 1845 nach Entwürfen des Berliner Architekten Friedrich Scheel fertiggestelltes neugotisches Gutsschloss. Nicht weit vom Ort Īle liegt der Pokaiņu-Wald, in dem viele Eichen und Linden stehen. Er ist für seine botanische und ornithologische Vielfalt, sowie geologische Formationen bekannt.
Eine weitere Ruine der Ordensburg am Ufer des Flusses Bērze befindet sich in Dobele. Die evangelisch-lutherische Stadtkirche stammt aus dem Jahr 1907. Die römisch-katholische Kirche ist ein 2003 fertiggestellter Neubau.
Die größte Stadt dieser Region ist Jelgava (Mitau). 1574 bis 1795 war Jelgava die Hauptstadt des Herzogtums Kurland. Zwischen 1738 und 1772 entstand am Ufer der Lielupe anstelle der Burg des Deutschen Ordens ein Barockschloss, das etwa genauso groß ist wie das Schloss von Rundāle. Architekt war ebenfalls der Petersburger Hofarchitekt Rastrelli. In Jelgava befinden sich eine orthodox-russische Kirche und die katholische Stadtkirche. Erhalten geblieben sind ebenfalls einige ältere Holzhäuser, die im Zweiten Weltkrieg im Unterschied zu vielen Gebäuden in Jelgava nicht zerstört wurden. In der evangelisch-lutherischen Annenkirche befindet sich das Altarbild „Christus und die Samariterin“ (1910) von Janis Rozentāls, dem bedeutendsten lettischen Maler des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Ilze Plaude