Roggenbrot

Das Roggenbrot ist im Vergleich zu anderen Brotsorten recht schwer und kommt dem deutschen Schwarzbrot recht nahe. Es ist gesünder als Weißbrot und enthält viele Ballaststoffe, aber wenig Fett. Erst im 19. Jahrhundert begann man damit, reines Roggenbrot zu essen. Bis dahin wurden dem Mehl, insbesondere in Zeiten von Krieg und schlechten Ernten, Moos, Baumrinde, Sägemehl oder Spreu beigemengt. Das Roggenbrot wird in den lettischen Volksliedern, den Dainas, als Begleiter des Menschen von der Geburt bis zum Tod dargestellt. Warmes, reines Roggenbrot hatte seit jeher einen besonderen Wert. Die deutschbaltischen Pastoren Gotthard Friedrich Stender (1714–1796) und Jacob Lange (1711–1777) erfassten in ihren Wörterbüchern eine umfangreiche Lexik rund um das Brot.

In den vergangenen Jahrhunderten wurde auf jedem Hof Kornbrot aus Roggenmehl gebacken. Es wurde im Alltag gegessen, auf Reisen und zur Arbeit mitgenommen. Der Roggen wird im Herbst gesät. Die jungen Pflanzen überwintern unter dem Schnee und blühen erst um die Zeit des Johannisfestes. Einen guten Monat später, zur Zeit des Jakobifestes, kann der Roggen geerntet und zugleich zu frischem Brot gebacken werden. Vor dem Backen werden Zeichen in den Brotlaib geritzt, um göttlichen Segen zu erbitten. Dies können Zeichen aus der lettischen Mythologie oder auch einfache Formen sein, denen man eine eigene Bedeutung beimisst. Um das Brotbacken und das Brot selbst ranken sich zahlreiche Aberglauben: So sollte man den Brotteig beispielsweise stets glattstreichen, um eine gute Schwiegermutter zu bekommen. Wer den Rücken am Brotofen wärmt, laufe Gefahr, davon Rückenschmerzen bekommen.

Brot hatte stets einen Ehrenplatz zu Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen. Einem Neugeborenen legte man Salz, Brot und Silber in die Wiege. Auf dem Hochzeitstisch durfte nie ein Kornbrot fehlen. Auch wenn die letzte Ehre erwiesen wurde, war stets Brot auf dem Tisch. Schon 1664 schrieb Pastor David Celack in Alūksne: „Auf das Grab eines Verstorbenen lege man zunächst ein Brot für die Reise.“

Ein besonderer Duft erfüllt den gesamten Hof, wenn der Brotofen geöffnet und das frisch gebackene Brot aus dem Ofen geholt wird. Diese Erfahrung kann man auch heute noch machen, etwa zum Jakobifest bei der Windmühle von Āraiši in der Gemeinde Amata oder beim Erntefest in der Windmühle von Ate in der Gemeinde Kalncempji. Auch im Freilichtmuseum von Riga werden Brotfeste gefeiert. In Aglona befindet sich sogar ein Brotmuseum, und auf vielen Höfen kann man sich bei kleineren Festen am Brotbacken beteiligen.

Fermentiertes Roggenbrot wird vielerorts in Mittel- und Nordosteuropa gebacken. Es hat aber auch in Estland und Litauen einen besonderen Stellenwert als Grundnahrungsmittel. Auch in den Nachbarländern werden Traditionen rund um das Brot gepflegt, die denen in Lettland sehr ähnlich sind. Im Jahr 2014 hat man, 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, Roggensaat aus Berlin in zehn Ländern Mittel- und Osteuropas ausgesät. Anschließend wurde aus dem gewonnenen Mehl ein Friedensbrot gebacken.

Jens Grabowski