„In the Shadow of Death“ („Nāves ēnā“, 1971), bei der Gunārs Piesis die Regie führte, ist eine Verfilmung der Novelle von Rūdolfs Blaumanis (1863–1908), die am Rigaer Filmstudio entstanden ist. Dieser Film gilt als eines der Höhepunkte der lettischen Literaturverfilmungen, makellos in der Stilistik und im Einsatz der feinen Filmsprache, ein gelungenes Beispiel einer sehr nuanzierten Regieinterpretation, ein psychologisches Drama über existenzielle Probleme, die unter außerordentlichen Bedingungen gelöst werden müssen. Deshalb wirkt der Film auch heute noch als sehr aktuell und kann in einem Atemzug geschaut werden.
An einem kalten Wintertag werden während des Winterfischens acht Fischer auf einer Eisscholle in die Ostsee getragen. Sie sind im unterschiedlichen Alter, haben unterschiedliche Lebenserfahrungen gemacht, kommen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, was aber sie alle vereint – sie haben immer hart gearbeitet, angefangen mit der ganz jungen Aushilfe bis zu den allerschroffsten und erfahrensten Männern. Nach einigen Tagen auf dem offenen Meer, während derer die niederträchtigsten, aber auch die edelsten Charaktereigenschaften des Menschen zum Vorschein gekommen sind, kommt die Hilfe auf – ein Schiff, der sie zurück zum Festland bringen kann. Darauf gibt es aber nur fünf freie Plätze… Die Verfilmung behält die Ausrichtung der Novelle und deren Kern, vertieft aber die Characterzeichnungen. Nach der Initiative von Gunārs Piesis, der auch als Co-Autor des Drehbuchs funktioniert hat, ist die Story mit den Episoden aus dem Fischerdorf erweitert worden. So wechseln im Film die verzweifelnde Realität der Fischer auf dem Eis ab mit ihren träumerischen Erinnerungen aus der Vergangenheit auf dem Festland in der Nähe der geliebten Menschen. Im Film wurden all die größten männlichen Stars des damaligen lettischen Films, die als Männlichkeitssymbole galten, versammelt.
Gunārs Piesis hat in einem Interview erklärt, dass er sich keine literarische Vorlage vorstellen kann, die schwieriger zu verfilmen wäre als Blaumanis‘ „In the Shadow of Death“. Denn der Schauplatz des Films ist sehr begrenzt, das Sujet ist nicht fesselnd, es gibt keine Schauplatzänderung, nichts, was ein packender Film nötig hätte. Die szenografisch interessanten, sehr photogenen Witterungsverhältnisse auf der Eisscholle mitten im Meer während eines kalten, zugeschneiten Winters, waren eine große Herausforderung für die Crew, dafür aber wirkten sie fördernd auf die schauspielerischen Leistungen und auf die Erzeugung der schicksalshaften Atmosphäre. Der Film ist in Schwarzweiß gedreht worden, was die Geschichte noch dramatischer und die Konflikte noch schärfer wirken lässt.
Bevor er für sich einen Platz in die Filmgeschichte Lettlands eingeschrieben hat als einer der besten Regisseure zur Verfilmung lettischer Literatur, hat Gunārs Piesis zehn Jahre mit Drehen der Dokumentarfilme verbracht. Das hat sein Interesse für die menschliche Natur verstärkt, die sehr facettenreich und uneindeutig ist. Als Piesis mit der Arbeit der Verfilmung begann, hat er sich nicht auf die Visualisierung alltäglicher Aspekte der literarischen Vorlage konzentriert, sondern hat er die bildliche Interpretation der naturalistischen Stilistik und die exaltierte Darstellung des menschlichen Seins hervorgehoben.
Die unglaubliche dramaturgische Spannung in einer sehr engen und eintönigen Umgebung konnte erzeugt werden dank der hochwertigen Kameraarbeit von Mārtiņš Kleins (1938–2014). Der Rhythmus des Films spiegelt sich in den langen Einstellungen, in statischen Beobachtungen und in emotionalen Nahaufnahmen, Kontrast dazu liefern die dramatischen Nachtaufnahmen. In meisten Fällen wurde Telefotoobjektiv eingesetzt, der Kameramann hat oft aus einer vergleichsweise großen Entfernung gedreht, um maximal zu vermeiden, dass die Kamera die fein nuancierte Schauspielerarbeit unterbricht. Wenn das nötig war, wurde in Episoden mit steigender Spannung bewegliche Kamera eingesetzt, um ein Präsenzeffekt zu erzeugen. Die unruhige Musik von Marģers Zariņš (1910–1993) unterstütze das visuelle Vorhaben.
„In the Shadow of Death“ ist eine der wenigen Verfilmungen der lettischen Literatur, die ohne negative Kritik auskamen und sogar Lob von beiden Zuschauergruppen bekommen haben – sowohl von den Filmkritikern als auch vom Publikum. Für Gunārs Piesis bildete dieser Film den Anfang einer Reihe von gelungenen Literaturverfilmungen – die nächste war „Blow, the Winds“ (1973) nach einem Theaterstück von Rainis.
Von Elīna Reitere adaptierte deutsche Fassung nach einem Text von Olga Doļina