Der Maler Vilhelms Purvītis hat mit seinen Landschaften „Frühlingsgewässer (Maestoso)“ (Pavasara ūdeņi (Maestoso)), „Winter“ (Ziema), und „Im Frühling (Vollblüte)“ (Pavasarī (Ziedonis)) die Natur Lettlands in verschiedenen Jahreszeiten dargestellt. Damit hat er die Grundlagen der lettischen Landschaftsmalerei geschaffen.
Majestätische Landschaften der nördlichen Natur werden im Zyklus der vier Jahreszeiten dargestellt: ruhige Seen und Flüsse, Hochwasserfluten, das Schimmern vom Eis am Flussufer, das Tauwetter im Frühling, rasende Bäche, blühende Bäume im Frühling und bunte Blätter im Herbst. Im künstlerischen Schaffen des Malers spielte der Schnee eine besondere Rolle, jede einzelne Schattierung, jede einzelne Fußspur im Schnee bedeutet in seinen Landschaften eine besondere Akzentuierung. 1905 schrieb die englische Kunstzeitschrift „The Studio“, dass Purvītis einer der zeitgenössischen Maler sei, der die Poesie der Natur darzustellen weiß. Zu seinen bedeutendsten Malerkollegen, von denen auch das Schaffen von Purvītis beeinflusst war, gehörte der norwegische Künstler Frits Thaulow (1847–1906).
Das Gemälde „Der Winter“, entstanden um 1910, ist eines der hervorragendsten Beispiele des Jugendstils in der lettischen Malerei. Es wird ein frischer, sonniger Wintertag dargestellt, die glänzenden, flimmernden Gewässer erscheinen in den gebogenen Formen des Jugendstils, die Baumkronen sind durchscheinend wie Spitzen, die Schatten erscheinen wie Ornamente. 2007 wurde das Gemälde in der Ausstellung „Meisterwerke der europäischen Kunst“, die dem 50. Jahrestag der Europäischen Union gewidmet war, gezeigt.
Ebenso um das Jahr 1910 entstand der von Vilhelms Purvītis verewigte Augenblick „Frühlingsgewässer“. Die Natur erwacht vom Winter, langsam taut der Schnee, und in der Weite sieht man einen der für die Natur Lettlands so typischen Birkenhaine. Es ist eines der am häufigsten reproduzierten Gemälde von Purvītis, es verleiht der scheinbar einfachen Landschaft eine unglaubliche Majestät. Dieses Gemälde markiert eine Wende im Werk des Künstlers, er wendet sich damit der Neoromantik und der traditionellen deutschen Malerei zu, die die Regelmäßigkeit der Komposition in den Vordergrund stellt.
Das Gemälde „Im Frühling“ entstand erst in einer späteren Schaffenszeit, 1933–1934. Es zeigt das Interesse von Purvītis am Impressionismus und Postimpressionismus. Mit vielen kleinen Pinselstrichen stellt er eine Vibration der blühenden Landschaft her. Das Gemälde scheint zu strahlen, der Maler zeigt seine Bewunderung für die Schönheit der Natur.
Das Leben von Vilhelms Kārlis Purvītis begann 1872 wie bei vielen lettischen Malern auf dem Land, nämlich in der malerischen Gegend von Jaunpils (Zaube). Vielleicht war gerade die Natur seines Heimatsortes eine der wichtigsten Inspirationsquellen in seinem Schaffen gewesen. 1890–1897 studierte Purvītis an der Petersburger Kaiserlichen Akademie für Kunst, die er mit Auszeichnung absolvierte. Seine Kommilitonen waren auch Janis Rozentāls und Johans Valters. Vilhelms Purvītis war ein hochgeschätzter Kollege in den Petersburger Künslerkreisen und am Zarenhof, trotzdem kehrte er 1899 nach Riga zurück. Er schuf mit seinen Bildern die Grundlagen der lettischen Landschaftsmalerei und trug dazu bei, die lettische Malerei international bekann zu machen. 1906–1909 war er Lehrer für Kunst in Tallinn (Reval), in dieser Zeit entstand sein Gemälde „Reval im Nebel“ (Rēvele miglā). 1909 kehrte er nach Riga zurück und gründete die Rigaer Kunstschule, in der u. a. Romāns Suta, Jēkabs Kazaks und Voldemārs Tone studierten. 1915 ging er als Kriegsflüchtling nach Petrograd. 1917 – nach Norwegen, wo seine erste Einzelausstellung veranstaltet wurde. Seine Gemälde fanden Anerkennung in den Ausstellungen in Paris, Petersburg, Lyon und München. Schon vor der Gründung der Republik Lettland 1918 kehrte er nach Lettland zurück und war auch gesellschaftlich aktiv. Er wurde Rektor der neugegründeten Lettischen Akademie für Kunst (1919–1934) und Leiter des Lettischen Nationalmuseums der Künste (1919–1944). An der Lettischen Akademie für Kunst leitete er die Werkstatt der Landschaftsmalerei. Am Ende seines Schaffens wandte er sich verstärkt der Darstellung der Stadt zu. Vilhelms Purvītis starb 1945 als Kriegsflüchtling in Deutschland.
Im 20. Jahrhundert suchte die Landschaftsmalerei nach neuen Formen, jedoch büßte das Genre nie seine Aktualität ein. Das Gesamtwerk von Vilhelms Purvītis war stets auf der Höhe der Zeit. Seinen Nachfolgern Kārlis Melbārdis, Ārija Skride, Eduards Kalniņš, Oto Pladers, Konrāds Ubāns und anderen Malern dienten seine Gemälde als Quelle der Inspiration.
In seinem Geburtshaus Vecjauži in Zaube (jetzt Taurupe), in dem er die ersten 16 Lebensjahre verbrachte, ist ein Museum und internationales Zentrum für Kunst entstanden. 2008 wurde der Purvītis-Preis gegründet, der alle zwei Jahre verliehen wird.
Die in den Kulturkanon aufgenommenen Gemälde von Vilhelms Purvītis sind im Lettischen Nationalmuseum der Künste ausgestellt, andere befinden sich in lettischen Museen und Privatsammlungen.
Ilze Plaude