Das Land der blauen Seen ist eine Bezeichnung für das in der Eiszeit gebildete Hochland im Südosten von Lettland, die Region Latgale (Lettgallen). Da befinden sich der volumenmäßig größte und flächenmäßig zweitgrößte See Lettlands Rāzna-See, der tiefste Drīdzis (63 Meter), sowie weitere 1200 mittlere und kleinere Seen, die diese Landschaft prägen. In einem Naturschutzgebiet befindet sich der Ežezers (Igelsee) mit seinen 36 Inseln und der sagenumwobene Velnezers (Teufelssee) mit seinem einzigartigen Farbenspiel. Latgale ist eine von den zivilisatorischen Errungenschaften nur wenig beeinträchtigte hügelige Seenlandschaft. Man kann von den Hügeln eine weite Aussicht auf die Seen genießen.
Kulturhistorisch unterscheidet sich die Landschaft vom übrigen Lettland durch den Katholizismus. Latgale wurde seit Anfang des 17. Jahrhunderts von Polen dominiert, während das benachbarte Livland die schwedische Zeit erlebte und evangelisch-lutherisch blieb. In Latgale sieht man an den Wegen Kruzifixe. Die Basilika von Aglona ist in katholischen Kreisen von internationaler Bedeutung. Nördlich des Dreiländerecks Lettland-Weißrussland-Russland, in Pasiene, steht eine weitere prächtig ausgestattete Barockkirche, die viele für die schönste Lettlands halten.
Landschaftlich gesehen ist Preiļi das westliche Tor zu den Seen Latgales. Preiļi ist die unangefochtene Hauptstadt der lettischen Keramik: Im Stadtmuseum sind die farbenprächtig glänzenden Werke des Künstlers Poļikarps Čerņavskis (1923–1997) zu sehen, dessen Werkstatt auch besichtigt werden kann. Im Zentrum von Preiļi steht eine schöne katholische Kirche und das Gutshof der Familie Borch, das von einem weitläufigen und wasserreichen Landschaftspark umgeben ist.
Zehn Kilometer südlich von Preiļi liegt Aizkalne. Auf dem Hof Jasmuiža verbrachte der Dichter Jānis Rainis (1865–1929) seine Jugendjahre. Dort wirkte auch der berühmte Keramiker Andrejs Paulāns (1896–1973).
Die katholische Tradition von Aglona geht auf die Gründung eines Dominikanerklosters im Jahr 1699 zurück. Die alte Holzkirche wurde durch die Basilika von Aglona ersetzt, sie ist alljährlich am 15. August (Mariä Himmelfahrt) das Ziel zahlreicher katholischer Pilger. Sie wurde zwischen 1768 und 1800 errichtet – ein prächtiger spätbarocker Bau mit markanter Fassade, zwei 60 Metern hohen Türmen und offenen Glockenstühlen.
Etwa drei Kilometer nördlich von Aglona erreicht man am recht großen Rušona-See eine heidnische Kultstätte. Der riesige Findling mit einem Durchmesser von etwa drei Metern liegt im Park des Gutshofs Kameņeca. Fünf Kilometer in Richtung Osten steht am Seeufer die Holzkirche von Bērzgale von 1750 mit einem Glockenturm im Hof.
Von Aglona in Richtung Krāslava kommt man zu Velnezers (Teufelssee). Dieser kleine, etwas im Wald versteckte See zählt zu Lettlands schönsten und wechselt je nach Wetterlage seine Farbe: Wenn die Sonne scheint, ist er meist grün, bei bedecktem Himmel fast schwarz, und manchmal ist er auch türkis oder blau. Der Velnezers und die weiteren in Richtung Krāslava gelegenen Seen liegen in der schönsten Seenlandschaft Lettlands. In diesem Gebiet zwischen Aglona, Krāslava und Ezernieki konzentriert sich auch die größte Anzahl von Seen in Lettland. Mehrere Seen sind miteinander verbunden. Auf einer Bootstour von Drīdzis-See bis zum Jasinka-See können fünf Seen überquert werden. Nicht weit von diesen Seen befindet sich der Hügel Sauleskalns, von dem man einen schönen Ausblick auf die Seenlandschaft hat.
Im Ort Grāveri führt eine pittoreske Straße nach Osten in den kleinen Ort Auleja, ein Zentrum der Herstellung von Tüchern und Trachten. Am Seeufer liegt eine katholische Kirche, die 1709 mit Mitteln des Jesuitenordens gebaut wurde. Wenige Kilometer hinter Auleja führt die Straße an einer Bucht des Sīvers-Sees vorbei. Jede der 200 Buchten und Inseln des Sees hat von den Lettgallern einen eigenen Namen bekommen.
Am Dagda-See liegt der Ort Dagda, der sich aus einem Gutshof entwickelt hat. Sehenswert ist eine für den kleinen Ort recht groß geratene barocke Kirche aus dem Jahr 1741 und einige Backsteinhäuser aus dem Ende des 19. Jahrhunderts.
Nördlich von Dagda liegt der See Ežezers und das ihn umgebende Naturschutzgebiet. Der See zählt zu den schönsten Seen Lettlands, die Zahl seiner Inseln liegt, je nach Wasserstand zwischen 36 und 69. Die Inseln im südwestlichen Teil sind größer. Die Namen einiger Inseln sagen aus, was auf den Inseln wächst: Auf der Liepu sala (Lindeninsel) wachsen ausschließlich Linden, auf der Jāņogu sala (Johannisbeerinsel) ausschließlich rote Johannisbeeren. Die größte Insel ist die 45 Hektar große Lielā lāču sala (Große Bäreninsel), auf der das älteste Haus der Gegend steht, wie viele Häuser der traditionellen Holzarchitektur, kommt es ohne Verbindungen aus Eisen aus. Auf dem See gibt es noch eine weitere bewohnte Insel, die Ežusala (Igelinsel). Am nordwestlichen Ufer gibt es einen Eichenhain mit 400 Jahre alten Bäumen. Im Gebiet Dagda liegt auch der sehenswerte Museumsbauernhof, auf dem man die Geschichte und Lebensweise der Lettgallern Anfang des 20. Jahrhunderts erkunden kann. Unterwegs zum Bauernhof sieht man die Moor- und Sumpflandschaft von Latgale.
Unweit der Grenze mit Weißrussland und Russland im Dreiländereck erreicht man den kleinen Ort Pasiene mit der prächtigen Barockkirche aus dem Jahr 1761. Pasiene ist neben Aglona das zweite wirklich bedeutende religiöse Zentrum Latgales. Im September finden dort Konzertreihen der sakralen Musik statt.
Weiter nordöstlich befindet sich das Naturschutzgebiet des inselreichen Pildas-Sees. In Nukši steht eine sehenswerte, in traditioneller Holzarchitektur errichtete Dorfkirche. Südöstlich davon liegt der Nirzas-See, der touristisch gut erschlossen ist.
In der Stadt Ludza, die sich an mehreren Seen befindet, wurde 1300 die Burg des Deutschen Ordens errichtet, von der die pittoreske, das Stadtbild dominierende Ruine übrigblieb, die auf einem 20 Meter hohen Hügel über dem großen Ludza-See liegt. Am Seeufer der Burgruine ist noch eine Synagoge erhalten, ein letztes Überbleibsel der Kultur des jüdischen Schtetl, das Anfang des 20. Jahrhunderts weitgehend verschwand. Ein markanter Punkt im Stadtbild ist die 1843 erbaute, zweitürmige russisch-orthodoxe Kirche.
Nordöstlich von Ludza gibt es in Cibla einen Gutshof, der auf der Liste des Europäischen Kulturerbes steht. Die Umgebung von Ludza ist wirklich schön, in allen Himmelsrichtungen liegen Seen unterschiedlicher Größe.
Rēzekne, 20 Kilometer westlich von Ludza gelegen, gilt als die wichtigste Stadt Latgales. Rēzekne lag schon vor Ankunft der Kreuzritter an der Handelsstraße nach Pskov. Mitte des 13. Jahrhunderts errichtete der Deutsche Orden eine Burg, deren Überreste noch im Zentrum zu sehen sind. In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich Rēzekne zum wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum Latgales. Leider wurden etwa 80 Prozent der Bausubstanz der Stadt im zweiten Weltkrieg zerstört. In der Latgales iela erheben sich noch die beiden Türme der 1893 gebauten katholischen Kirche. Ein Denkmal von nationaler Bedeutung ist die 'Latgales Māra‘: Es erinnert an die Integration Latgales in den unabhängigen lettischen Staat 1920. Interessant ist die Ikonographie des Denkmals: Māra ist eine der wichtigsten Gottheiten der lettischen Mythologie, sie steht für Fruchtbarkeit und Wohlergehen. In der Hand der Skulptur ist ein Kreuz zu sehen, das an die katholische Tradition der Region erinnert. Das Denkmal ist 1939 von Kārlis Jansons nach einem Entwurf von Leons Tomašickis geschaffen worden. In der Sowjetzeit wurde die Statue zweimal zerstört und vom Bildhauer Andrejs Jansons, dem Sohn des Bildhauers, der die erste Statue errichtet hatte, 1992 wieder erbaut. In Rēzekne befindet sich auch das Museum für Kunst und Regionalgeschichte. 2013 wurde hier das hochkarätige Konzerthaus „Gors“ gebaut, ein modernes Gebäude mit der besten Akustik in Lettland.
Etwa 20 Kilometer südlich von Rēzekne liegt der 40 Quadratkilometer große Rāzna-See, dessen Ufer an manchen Stellen steil abfallen. Von Mākoņkalns (Wolkenberg) kann man eine schöne Aussicht auf den Rāzna-See genießen. Es gibt auch Ruinen einer Ordensburg aus dem 13. Jahrhundert. Am Westufer, im Ort Zosna, liegt direkt am See ein Gutshof mit Kirche und weiteren Nebengebäuden. Das eklektizistische Herrenhaus ist teilweise in Fachwerkarchitektur ausgeführt.
Der Rāznas-Naturpark mit verschiedenen Arten von Grasland ist zu 14 Prozent mit Gewässern bedeckt. Die in Richtung Ludza anschließende Seenlandschaft zählt zu den beeindruckendsten Landschaften Latgales.
Ilze Plaude