Es gibt wohl keine Auszeichnung für architektonische Leistungen in Lettland, mit der Architekt Andris Kronbergs (1951) nicht gewürdigt worden wäre. Dazu gehören mehrfache Grand Prix der Architektur in Lettland als auch die Nominierung für den ehrenwürdigen Pritzker Architecture Prize in 2003. Das Wirken Kronbergs steht für visionäre lettische Gegenwartsarchitektur. Nun hebt sich Kronbergs ebenfalls dadurch in seiner Zunft hervor, dass er seine Träume auch tatkräftig umsetzt.
Der Name von Andris Kronbergs steht für eine formreine Gebäudegestaltung, bei der sich die emotionale Wirkung dennoch vollumfänglich entfalten kann. Seine rationale Herangehensweise, wenn auch klar wahrnehmbar, lässt seine Werke keinesfalls ausdorren. Viel mehr gliedert sie diese sehr pietätvoll und gehörig in ihre ländliche bzw. urbane Umgebung ein. Jedes seiner Projekte startet er mit der Analyse der künftigen Positionierung des geplanten Gebäudes in seiner Umgebung. Für Kronbergs sind dabei neben Lichtverhältnissen oder Witterungseinwirkung, dem Relief und Nachbarschaftsgebäuden auch solche Aspekte wie die Gerüche, Gesamttonalität der Landschaft und Windbewegung von gleicher Bedeutung.
Die Gebäude von Kronbergs verbindet eine Monumentalität, mit der er jedoch nicht rein illustrativ arbeitet. Vielmehr ist sie das Ergebnis der von Kronbergs stets betriebenen Suche nach dem Kern einer lettischen Identität, der er eine neue architektonisch kontemporäre Ausdrucksform verleihen möchte. Man findet in seinen Werken daher keine ornamentalen Applikationen oder sonstige direkten dekorativen Anspielungen auf lettische Tradition. Er reduziert viel mehr die Verwurzelung seines Wirkens in der Historie und dem Kulturerbe Lettlands auf einen Nucleus der modernistischen Ästhetik. Exemplarisch dafür sind der von Kronbergs gestaltete Umbau des internationalen Flughafens Riga (seit 1996 in Mārupe) und das Tresorgebäude der lettischen Zentralbank (1996–2001, Bezdelīgu iela 5 in Riga).
Zwar in geringerem Maße, doch mit einer ähnlichen Begründung steht Kronbergs dem „Scheunen-Trend“, wie man die mittlerweile bei Villen, Einfamilien- und Sommerhäusern verwendete stilistische Formgestaltung in Lettland bezeichnet, Pate. Die Charaktermerkmale des von Kronbergs initiierten Trends sind die Befreiung dieser Gebäude von etwaigen überflüssigen Dekorationen bis zum Kern ihrer Grundstruktur, was die Schlichtheit und Funktionalität von alten ländlichen Betriebsgebäuden und Wohnhäusern aufgreift. Die Quintessenz dieser Ausdruckweise erreicht Kronbergs in dem Umbau seines Elternhauses (2006–2007, Zemeņu iela 5 in Jūrmala). Bereits der Projektname „Das Graue Quadrat“ (lett.: „Pelēkais kvadrāts“), der keinesfalls eine Konnotation mit dem manifesten „Schwarzen Quadrat“ von Malewitsch scheut, druckt die Ambition von Kronbergs aus, seinen „Nullpunkt“ in der Architektur aufzurufen.
Ganzheitlicher Verzicht auf jegliche Irritation und meisterhafte Fluidität im Verhältnis seiner Gebäude mit der sie umgebenden Landschaft ist der von Kronbergs gewählte Weg zu dem von ihm angestrebten architektonischen „Nullpunkt“. Exemplarisch hierfür ist das in einem Hügel am Fluss Daugava integrierte Betriebsgebäude einer Druckerei (2004–2007, Gemeinde Daugmale). Es macht sich lediglich als Anschein eines flimmernden Nebelrandes über dem dieses Gebäude beherbergenden Hügel merklich.
Andris Kronbergs stellt seine konzeptionelle Herangehensweise an die landschaftliche Integration seiner Bauten gekonnt auch dann unter Beweis, wenn er die Interaktion um eine weitere Dimension erweitert. Ihm gelingt es nämlich meisterhaft, die Bewegungsgeschwindigkeit des Betrachters in seine Werke miteinzubeziehen. So geschieht es an sämtlichen seiner an diversen Verkehrsachsen positionierten Bauten. Exemplarisch hierfür sind der an der zentralen Transitstrecke gelegene Supermarkt in Salacgrīva unter dem Projektnamen „Der Strang von Salacgrīva“ (lett.: „Salacgrīvas stīga“, 2013) sowie das an der die Städte Riga und Jūrmala verbindenden Schnellstraße liegende Tabaklager- und Bürogebäude (2002, Kārļa Ulmaņa gatve 115 in Riga) und das Einkaufszentrum „Riga Plaza“ (2009) an einem Schnellstraßenknotenpunkt in Riga (Mūkusalas iela 71).
Doch das Portfolio von Andris Kronbergs umfasst die breiteste Palette von weiteren Objekten. Unverwechselbar trägt das Bürogebäude in Baznīcas iela 20/22 (1993–2003) seine Handschrift. Hier ummantelt die neu geschaffene Gebäudestruktur mit Glas einen historischen Altbau. Für die Verbindung zwischen der Vergangenheit und Gegenwart verwendet Kronbergs auch architektonische Metaphern. Die Fassadenstruktur eines Luxushotels in Rigaer Altstadt (Grēcinieku iela 25 in Riga) bedient sich der architektonischen Metaphern, indem sie Assoziationen mit in Folge von Bombardements entstandenen urbanen Ruinen auslöst. So gedenkt Kronbergs mit dem neuen Gebäude, das anstelle einer durch Bomben in dem mittelalterlichen Straßengeflecht ausgerissenen Lücke entstanden ist, der Verluste der Zerstörungswut des Zweiten Weltkriegs. Der gleiche integrative Ansatz ist ebenfalls im Verwaltungs- und Servicegebäude der Nationalen Straßensicherheitsbehörde (lett. Abk.: „CSDD“, 2015, Sergeja Eizenšteina iela 6 in Riga) erkennbar.
Dieser Bau wurde in Verbindung mit der – ebenfalls von Kronbergs durchgeführten Sanierung – des benachbarten und von derselben Behörde betriebenen Rigaer Motorenmuseums erbaut. Sein Wirken umfasst weitere zahlreiche Sanierungs- und Rekonstruktionsprojekte, die ganze Gebäudekomplexe in die Gegenwart versetzten und mit neuem Leben füllten. Zu solchen Projekten gehören der Umbau des repräsentativen Ausschussgebäudes im Gebäudekomplex des lettischen Parlaments (lett.: Saeima) in der Altstadt von Riga (Jēkaba iela 6/8) oder die Neugestaltung eines ganzen Stadtviertels (2004–2013), zwischen Antonijas iela, Zaļā iela und Dzirnavu iela in Riga.
Angesichts des stets ganzheitlichen Ansatzes von Kronbergs in Bezug auf die Landschaft, in die er mit seinem Wirken eingreift, ist es nicht verwunderlich, dass die Raumplanung und -gestaltung in seinem Werdegang eine nicht minder bedeutsame Stellung einnimmt. Er erarbeitete zahlreiche innovative städtebauliche Entwürfe: die Stadtinseln Ķīpsala (2004–2010) und Lucavsala (2005), den Stadtteil Mežaparks (2013), das Bebauungskonzept für das linke Daugava-Ufer (2007–2010) in Riga und wirkte lange Jahre als stellvertretender Stadtbaumeister von Riga (1982–1996).
Andris Kronbergs ist 1951 in Riga geboren. Während seiner Schulzeit gründete er 1968 die Rockband „Menuets“, zu deren Repertoire hauptsächlich die Musik des Komponisten Imants Kalniņš (1941) gehörte. Die sowjetische Zensur verbot die Band im Jahr 1983. Die Wiederaufnahme ihrer Arbeit war erst mit dem Dritten Nationalen Erwachen (1986–1991) möglich und in dieser Zeit erfreute sich „Menuets“ einer äußerst großen Popularität. Kronbergs studierte Architektur an dem Polytechnischen Institut Riga, das er 1968 absolvierte. Schon während seines Studiums arbeitete er bei dem zu seiner Zeit führenden lettischen Architekten Modris Ģelzis. Von 2009 bis 2012 hatte Kronbergs den Vorsitz des Lettischen Architektenverbandes und des Nationalen Architekturrates inne. Seit 2003 leitet Kronbergs den Rat für die Erhaltung und Entwicklung der historischen Innenstadt von Riga. Neben vielen Fachauszeichnungen und Preisen wurde er auch mit der höchsten lettischen staatlichen Ehrung – dem Drei-Sterne-Orden – ausgezeichnet.
Roberts Putnis