Mit der Kleinstbildkamera „Minox“ wurde in Lettland ein Meilenstein der Kamerageschichte gelegt und eine globale Ikone des Industriedesigns geschaffen. Das ergänzend erlangte Kultstatus der „Spionagekamera“ verleiht dieser Ingenieursleistung eine absolute Sonderstellung in der Industriegeschichte. Das vom deutschbaltischen Erfinder Walter Zapp (lett. auch: Valters Caps, 1905–2003) Anfang der 1930er Jahre erarbeitete Konzept einer grundlegend neuartigen Fotokamera im Negativ-Format 8 x 11 mm ging 1938 bei der Firma „VEF“ (lett.: „Valsts elektrotehniskā fabrika“, dt.: „Staatliche elektrotechnische Fabrik“) in Riga in Serienproduktion. Bis zur Besatzung Lettlands wurden rund 17 000 „Minox“ von Riga aus an Kunden in der ganzen Welt versandt und diese Kamera ist noch heute ein begehrtes Sammlerobjekt.
Das unverwechselbare Gehäuse aus rostfreiem Stahl, der markante Lamellenverschluss und die ganz flach anliegenden Bedienringe zum Skalieren von Entfernung und Verschlusszeit schufen eine Kamera, die leicht in einer Hosentasche verschwinden und zugleich ordentliche Fotoleistung erbringen konnte. Noch lange vor den nun allgegenwärtigen Handy-Kameras durfte der Minox-Erfinder Walter Zapp schon damals behaupten, die „Minox“ sei eine Kamera, die man schlicht nie zu Hause vergessen könne, da man sie ja eh immer bei sich habe.
Eine der bedeutsamsten Innovationen der „Minox“ war ihr Aufzugmechanismus. Anstelle des üblichen Aufziehrings erfolgte bei „Minox“ der Aufzug durch das Ausziehen und Schließen des Lamellenverschlusses automatisch. Die Minox-Filme konnten – durch das von „Minox“ erstmalig eingeführte Doppelkassettensystem geschützt – sicher aus der Kamera geholt werden und ermöglichten eine Kapazität von bis zu 50 Aufnahmen.
Diese beiden Innovationen bildeten den Kern der zeitnah in zahlreichen Staaten erfolgten Patentierung der Minox-Technologie.
Mit ihren Maßen von 17 x 27 x 80 Millimetern und dem Gewicht von lediglich 125 Gramm war die „Minox“ ihrer Zeit derart voraus, dass die Firma „VEF“ ein vollumfassendes Vertriebskonzept aufstellte, um die Kundschaft von den Produktvorteilen zu überzeugen. So entstand bei „VEF“ eine von einer einheitlichen graphischen Identität geprägte Produktpallette der Marke „VEF Minox Riga“. Sie ergänzte das Kernprodukt mit passend abgestimmtem Zubehör, wozu zwei Vergrößerer, ein Stativ, eine Lupe für Durchsicht der Negative, Adapter für Postkartenabzüge, Belichtungsmesser, Filmumschläge und -Behälter gehörten. Zusätzlich wurde eine Entwicklerschale angeboten, in der man den Minox-Film direkt aus der Kassette holen konnte, ohne dass man dafür eine Dunkelkammer benötigte. Für Landschaftsaufnahmen verfügte die „Minox“ über ein Gelbfilter, das man bei Bedarf einsetzen konnte.
Die Grundkomposition für das Markenlogo „VEF Minox Riga“, unter dem „VEF“ das so diverse Produktportfolio vereinigte, stammt von der Hand des Erfinders Zapp persönlich. Die Details wurden jedoch von dem für lettische Geschichte des industriellen Designs ebenfalls sehr bedeutsamen, auch bei Firma „VEF“ tätigen Erfinder Ādolfs Irbīte (1910–1983) ausgearbeitet.
Die angestrebte Zielgruppe waren Hobbyfotografen, die genauso wie jeder Handybesitzer von heute schnell und einfach ihren Alltag in Bilder fassen wollten. Zugleich sah man bei „VEF“ im anbrechenden Zeitalter des Kopiergeräts ein Marktpotenzial für „Minox“ als Bürohilfe beim Abfotografieren von Schreibmaschinenseiten. Dafür wurde den Kunden eine Tragekette mit Abstandsmarken für Nahaufnahmen und ein passendes Kopierstativ angeboten. Ihren Ruf als „Spionagekamera“ erlangte die „Minox“ erst im Zweiten Weltkrieg wenige Jahre später.
Seine Idee einer Kleinstbildkamera verfolgte Walter Zapp bereits seit den 1920er Jahren. Er wollte eine den größeren Kameras in Bildqualität gleichwertige, doch deutlich einfacher handzuhabende Kamera schaffen, die kaum bemerkbar für ihren Besitzer ihn dennoch allgegenwärtig begleiten könnte. Die ergonomischen sowie andere Formqualitäten im Design von „Minox“ hatten in den Augen von Walter Zapp eine der ingenieurtechnischen Leistung gleichwertige Bedeutung. Er fertigte mehrere Holzmodelle an und schleifte sie, um für eine geöffnete Hand die bestgeeignete Form zu schaffen. Den ersten Prototyp – die „Ur-Minox“ – konstruierte der Erfinder im Jahr 1936 dank Finanzierung seines auch späteren Geschäftspartners Richard Jürgens.
Dieser Prototyp diente dann dem rund hundertköpfigen Fachkräfteteam der Firma „VEF“ als Grundlage zum Aufbau einer Serienproduktion. „VEF“ hatte noch zu diesem Zeitpunkt keine eigenen Erfahrungen mit feinmechanischer Fertigung. Die gebündelte Expertise der angestellten Feinmechaniker, Optiker und Konstrukteure sicherte jedoch den Aufbau einer Serienproduktionsstätte in rekordverdächtigten 18 Monaten. „VEF“ sah sich in der Lage sämtliche Teile der „Minox“ aus Eigenherstellung hervorzubringen. Lediglich die Objektivoptik und die Filme mussten für die Minox-Produktion aus Deutschland importiert werden.
Die erste „Minox“ wurde im April 1938 zu einem ordentlichen Kaufpreis von 248 lettischen Lats veräußert. Jede der Kameras erhielt eine Nummer und wurde mit der Gravur „Made in Latvia“ versehen. Von der sowjetischen Besatzung im Juni 1940 wurde die Minox-Produktion nicht unterbrochen. Die Kameras erhielten jedoch eine neue Gravur „Made in USSR“, mit der man auch die ursprüngliche Gravur der bereits fertiggestellten Kameras ersetzte. Diese wenigen Artefakte gehören wegen ihrer Kuriosität und Seltenheit heute zu den ganz besonders begehrten Sammlerobjekten. Zur Einstellung der Produktion von „Minox“ in Riga kam es während der deutschen Besatzung im Jahr 1942. Die Betriebsanlagen der Firma „VEF“ wurden nach Deutschland ausgeführt.
Gleich nach dem zweiten Weltkrieg sorgte Walter Zapp für einen Neuaufbau der Produktion von „Minox“ in Deutschland. Bei der in Deutschland nun auf den Markt gebrachten Modifikation ersetzte Leichtmetallgehäuse den ursprünglich in Riga verwendeten rostfreien Stahl, wodurch sich das Gewicht des neuen Modells deutlich reduzierte. Es folgten weitere konstruktive Verbesserungen bei Objektivlinsen sowie der Verschlusstechnik. Dennoch setzt sich auch in den Nachfolgemodellen das Designkonzept aus Riga unverkennbar fort. Die „Minox“ wurde in der Nachkriegszeit zu einem großen Verkaufserfolg. Zu Kunden von „Minox“ gehörten sowohl das britische Königshaus als auch solche großen Namen der Popkunst wie Andy Warhol. Den Ruf von „Minox“ als „Spionagekamera“ festigten nach dem Zweiten Weltkrieg auch zahlreiche Spielfilme.
Der Erfinder Walter Zapp wurde im Jahr 1905 in der Familie des deutschstämmigen britischen Kaufmanns Karl Zapp und der deutsch-baltischen Emilie Antonia Ida Burchard geboren. Die Familie zog aus Riga nach Tallinn, wo Walter Zapp eine Lehre bei dem Fotografen Walter Lemberg begann. Hier erhielt er die ersten erfinderischen Impulse, die später die Gestalt der „Minox“ annahmen. Nach dem erfolgreichen Abschluss einer Geschäftsvereinbarung zur Zusammenarbeit mit der Firma „VEF“ zog Walter Zapp zurück nach Riga. Nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges siedelte er nach Deutschland um. Zur Gründung der deutschen Firma „Minox“ kam es in Zusammenarbeit mit seinem ehemaligen Geschäftspartner Richard Jürgens. Walter Zapp verbrachte seinen Lebensabend als freiberuflicher Konstrukteur in der Schweiz, wo er 2003 verstarb.
Die Lettische Akademie der Wissenschaften verlieh Walter Zapp 2001 die Ehrendoktorwürde und würdigt ihn mit dem in Kooperation mit dem lettischen Patentamt in seinem Namen zweijährlich ausgeschriebenen Innovationspreis.
Roberts Putnis