Die lettische Kokle, eine Form der in Deutschland bekannten Zitherinstrumente, ist Teil des lettischen Kulturkanons. Die Kokle ist es, die der traditionellen lettischen Musik ihren besänftigenden Klang gibt. Sie ist in den Lettischen Kulturkanon eingereiht, weil sie einen jahrhundertelangen Einfluss auf die Ausbildung der lettischen Kultur hat. Das Koklespiel bietet neben althergebrachten Melodien auf traditionellen Instrumenten auch ein umfangreiches Potential für moderne Neuschöpfungen, das sich mit neuen und modernen Formen des Instruments erweitert. Die Kokle ist ein europaweit bekanntes Symbol der lettischen Kultur. Pflege, Erforschung und Verbreitung des Koklespiels sind Grundlagen für einen umfassenden Erhalt der traditionellen Kultur des Landes. Das Koklespiel selbst ist eine einzigartige musikalische Erfahrung.
Der älteste archäologische Fund, der mit einer Kokle in Verbindung gebracht wird, ist auf das 13. Jahrhundert datiert. Es lässt sich nur schwer abschätzen, wie lange die Kokle bereits Teil der lettischen Musikkultur war. Im 17. Jahrhundert wurde das Instrument erstmals in handschriftlichen Dokumenten erwähnt. Das älteste erhaltene Instrument, die so genannte Kurländische Kokle, wurde nachweislich im Jahr 1710 von der Familie Bokumi erworben und wird im Lettischen Nationalmuseum aufbewahrt.
Erst deutlich späteren Datums sind die ersten überlieferten Melodien für die Kokle. Die erste bekannte, für die Kokle notierte Melodie stammt aus dem Jahr 1891; aus den 1930er Jahren stammen die ersten Audioaufnahmen auf Schallplatte und zum Kinofilm „Die Heimat ruft“ (Regie: Aleksandrs Rusteiķis). Aus Kurland sind Instrumentalmelodien, Tänze genannt, und Liedbegleitungen überliefert. Aus Lettgallen sind darüber hinaus auch frühe Begleitungen von Kirchenliedern bekannt.
Bei der traditionellen Kokle werden zwei Arten unterschieden: die aus einem Stück geschnitzte Kokle und die verleimte Kokle. Für sie sind fünf bis zwölf sternförmig angeordnete Saiten charakteristisch. Hölzerne Wirbel dienen dem Stimmen des Instruments. In Kurland wurden Koklen mit 5-9 Saiten verwendet, in Lettgallen waren größere Koklen mit 9-12 Saiten und einem so genannten Flügel verbreitet. Von den in Mitteleuropa verbreiteten Zithern wurde um 1900 die geleimte Bauweise übernommen, womit eine Anzahl von 15 bis 90 Saiten ermöglicht wurde. Heutzutage gibt es eine große Vielfalt an Koklen: Konzertkoklen, elektrische Koklen und andere, von den traditionellen Instrumenten abgeleitete Varianten.
Von 1900 bis in die 70er Jahre war die Kokle als Volksinstrument weniger verbreitet und nur noch an wenigen Orten in Kurland und Lettgallen zu hören. In den 1970er und 80er Jahren hat die aufkommende Folklorebewegung die Kokle und andere traditionelle Musikinstrumente wieder hervorgeholt. Es wurden wieder Koklen gebaut und Instrumentenbauer ausgebildet. Damit konnte das Instrument wieder einem größeren Interessentenkreis zugänglich gemacht werden.
Man nimmt an, dass das Koklespiel früher einen stark rituellen Charakter hatte. Es symbolisierte mit dem ruhigen Klang für viele Letten die Seelenwanderung. Daher wird die Kokle auch Instrument Gottes genannt. Heutzutage wird das Instrument vielfältig genutzt und trägt das Erbe der Volksmusik mit. Die Kokle gibt eine große musikalische Freiheit. Man kann sie feinfühlig, aber auch kraftvoll spielen. Sie ist ein Instrument der Seele. Am besten klingt die Kokle, wenn der Koklespieler ganz mit sich allein ist, denn sie reagiert auf feinste Gefühlsschwankungen. Sie bringt sowohl freudige Erregung als auch düstere Trauer zum Ausdruck. Das eingeschränkte Klangspektrum der traditionellen Koklen von einem knappen Dutzend Tönen hilft dem Spieler, sich auf den Ausdruck von Emotionen zu konzentrieren.
Man hört die Kokle heute bei verschiedensten Anlässen. Sei es zuhause, bei Beerdigungen, bei öffentlichen Veranstaltungen oder bei Konzerten. Jedes Jahr werden in der Gemeinde Dekšāri im Rahmen der Lettgallischen Tage (Latgaļu sātā) die Kokletage veranstaltet. Vom Einzelinstrument hat sich die Kokle zu einem Instrument für ein modernes Zusammenspiel auch mit elektronischen Musikinstrumenten entwickelt.
Jens Grabowski